Filter öffnen
M  W  D  Alle

Wiebke Kalläne


Wiebke Kalläne © Knut Reimann / Solibro Verlag
Wiebke Kalläne
1989
Oelde
Oelde-Stromberg
Lippstadt
Münsterland, Südwestfalen, Westfalen komplett
Prosa
Müselerstraße 8
59302 Oelde-Stromberg
0176-65528679

Pressedaten

Erläuterungen und Bedingungen

Pressefotos und Logos zum Download in der Datenbank LITon.NRW

Das Westfälische Literaturbüro in Unna e.V. pflegt im Rahmen der NRW-Literatur-Online-Datenbank LITon.NRW (ehemals www.nrw-literatur-im-netz.de) seit Herbst 2003 eine Foto-Datenbank mit hochauflösenden Fotos von Autor*innen sowie Fotos und Logos von literarischen Institutionen und Projekten aus NRW. Der Service richtet sich an Medien und Literaturveranstalter*innen, die auf diese Weise unkompliziert an Pressefotos und/oder Logos gelangen können. Dieser Service ist (in der Regel) kostenlos. Wenn ein*e Autor*in / eine Institution / ein Projekt Pressefotos bzw. Logos zur Verfügung gestellt hat, ist unter dem jeweiligen Profilfoto das bzw. die entsprechende/n Symbol/e aktiv (anklickbar). Klickt man darauf, klappt bei den Pressefotos ein neues Menü aus, worüber sich das/die Foto/s herunterladen lassen; bei den Logos öffnet sich direkt ein neues Fenster, worüber diese direkt heruntergeladen werden können. Einem Download steht nichts entgegen, wenn die folgenden Nutzungsbedingungen akzeptiert werden:

Alle Rechte vorbehalten. Die Bildmaterialien dürfen lediglich für die redaktionelle Berichterstattung bzw. von Veranstalter*innen für ihre Öffentlichkeitsarbeit unter Angabe des Copyrights bzw. des*der Urhebers*Urheberin (falls im Datensatz angegeben) honorarfrei verwendet werden. Andere Nutzungen, insbesondere jede Art von kommerzieller Verwendung des vorliegenden Materials außerhalb der Medienberichterstattung oder Veranstaltungswerbung, ist ausdrücklich untersagt. Mit dem Download von Fotos bzw. Logos stimmt der*die Nutzer*in dieser Regelung ausdrücklich zu.

Infos für Autor*innen, literarische Institutionen und Projekte

Für die Bereitstellung von Fotos und Logos im Download-Bereich von LITon.NRW entstehen Autor*innen, literarischen Institutionen und Projekten keinerlei Kosten. Die Zurverfügungstellung des Fotos und/oder Logos erfolgt jedoch prinzipiell honorarfrei. Auch das Westfälische Literaturbüro in Unna e.V. als Betreiber der NRW-Literatur-Online-Datenbank stellt potenziellen Nutzer*innen dieses Services keinerlei Kosten in Rechnung. Es wird lediglich ein möglichst einfaches Verfahren angeboten, schnell an Fotos bzw. Logos für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu gelangen. Das Westfälische Literaturbüro übernimmt aus diesem Grunde auch keinerlei Haftung, falls die Download-Fotos/-Logos nicht für den Zweck der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Veranstalter*innen u.ä. genutzt werden.

Pressebild(er)

Wiebke Kalläne © Knut Reimann / Solibro Verlag
Copyright
Wiebke Kalläne © Knut Reimann / Solibro Verlag
↓ Download

Arbeitsproben (1)

 

Aus: APFELGELB

Delft
Oktober 1657

Jarik de Boer

Auf dem Delfter Marktplatz war es laut, dreckig und es stank nach Tieren, Kot, Urin und verdorbenem Fleisch. Die Fensterläden des Stadthuis seitlich der schlanken Nieuwe Kirk waren zum Teil verschlossen, um sich vor dem Lärm und dem Trubel draußen zu schützen. Weißgraue Wolken zogen träge über den spitzen Kirchturm, der nach einem Blitzeinschlag 1536 fast vollständig wieder hergestellt worden war.
Seit ein paar Wochen hockte Jarik de Boer jeden Tag zwischen Gemüsehändlern, Viehbauern und Marktschreiern, um sich seine täglichen Schillinge zu verdienen. Er lebte von der Hand im Mund. Das, was er besaß, konnte man an einer Hand abzählen: einen Schemel, einen Krug, einen Mantel und etwas Kohle sowie zusammengeklebtes und dadurch festeres Papier. Das Wertvollste für ihn war die Kohle. Damit zeichnete er auf dem Markt Abbilder von Menschen, die es von ihm verlangten. Meistens waren es Huren. Diese konnten sich keine gemalten Bilder leisten, schienen aber dennoch so auf ihre Schönheit bedacht zu sein, dass sie sich über die schnell dahin gekritzelten Skizzen freuten. Er verkaufte die Entwürfe für drei bis fünf Schilling. Es reichte, um sich abends mit ein paar Bierkrügen den Magen und die Seele zu wärmen. Danach schlief es sich leichter unter freiem Himmel. Manchmal hatte er Glück und die eine oder andere Wirtsfrau hatte Mitleid mit ihm und gedachte ihm einen Platz in der Speisekammer oder in einem der leerstehenden Zimmer zu. Doch nicht jede Frau in Delft war so herzensgut. Oft wurde er aus Gassen verjagt, wenn er sich erschöpft gegen eine Häusermauer lehnte, um die Augen für einige Sekunde zu schließen und an seine Heimat zu denken. Dann leerte sich über seinem Kopf ein Nachttopf, ein Diener schlug ihn mit einem Holzscheit oder eine Pferdekutsche trampelte ihn fast zu Tode.
So erbarmungslos und brutal hatte er sich die große Handelsstadt Delft nicht vorgestellt. Als er den Hof auf dem er aufgewachsen war verließ, um sein Glück zu machen, hatte er große Erwartungen an die angeblich aufblühende Stadt gehabt. Wie gern würde er nun wieder im warmen Heu schlafen und morgens die Schweine füttern. Doch er wusste, dass er nicht zurückkommen konnte. Noch nicht. Mit der Aufzucht von Schweinen verdiente sein Vater nicht mehr genug. Außerdem wurde die Arbeit immer härter. Und sich selbst als Schweinebauer bis an sein Lebensende, das hatte er sich noch nie vorstellen können. Seine Hände waren zart und feingliedrig. Nicht so plump und groß wie die seines Vaters.
"Jarik ist für etwas Größeres geschaffen", sagte seine Mutter oft, wenn sie seine Hände betrachtete, zuhörte, wie er von der Malerei sprach oder bei Zeichnungen die Konturen mit seinen langen Fingern nachzog. Sie waren wie lange, menschliche Pinsel, dafür geschaffen, Linien zu ziehen, sie zu verbinden und wie von Geisterhand Figuren, Tiere und Landschaften zu erschaffen. Gerne schaute sie ihm beim Malen über die Schulter, begeisterte sich bereits für einfache Schweine-Zeichnungen, die Jarik abends im Stall im Licht des Mondes angefertigt hatte. Vor seinem Vater musste er die Kohle verstecken.
"Die Malerei ist eine brotlose Kunst. Wie soll er damit eine Familie ernähren?", brummte sein Vater eines abends. Er tunkte ein Stück Brot in einen Humpen Bier und biss herzhaft hinein. Während das Bier seine Mundwinkel herab rann und er genüsslich schmatzte, wusste Jarik, dass er keine Gemeinsamkeit mit seinem Vater teilte. Dessen Unzufriedenheit über den Wunsch seines Sohnes belastete das Verhältnis zunehmend. Jarik konnte ihm auf dem Hof nichts mehr Recht machen. Weder das Füttern der Schweine, noch die Reparaturen des Hofes gelangen ihm zu dessen Zufriedenheit. Während Jarik gedankenverloren das Profil des Gemüsehändlers auf seiner Rechten
auf einem Stück Papier festhielt, stand er wieder, wie vor ein paar Wochen, mit einem Spaten im Schweinestall, um ihn auszumisten. Es war bereits später Nachmittag und sein Rücken schmerzte von der anstrengenden Arbeit im Stall. Die Schweine stanken erbärmlich und obwohl er jeden Tag mit ihnen zu tun hatte, glaubte er inzwischen, dass er sich nie an den Geruch gewöhnen würde. Er rümpfte die Nase, während er die mit Kot verklumpte Erde zur Seite schaffte. Die Schweine quiekten aufgeregt. Sie waren seine Anwesenheit nicht gewohnt. Sie respektierten seinen Vater, aber nicht ihn. Er war ein Störenfried, der sie nicht verstand. In diesem Moment stürmte sein Vater in den Stall. Sein Gesicht war wutverzerrt.
"Was tust du hier?", schrie er aufgebracht. "Siehst du nicht, dass die Schweine trächtig sind. Du bringst sie zu sehr auf, indem du in ihrer Gegenwart ausmistet und sie umher scheuchst!"
Die Wut und Verachtung in seinem Gesicht blieb vor seinem Augen hängen. Jarik ließ den Spaten fallen und stürzte aus dem Stall. Er hatte keine Worte für seinen Vater übrig. Zu sehr verletzte ihn dessen Enttäuschung. Er wusste natürlich selbst, dass er ihm keine große Hilfe war. Sein Vater übernahm die doppelte Arbeit, indem er seine abschließend noch korrigierte. Als er in die Dunkelheit hinausstürzte und sich müde und erschöpft am Rand des Blumenbeets seiner Mutter niederließ, wusste er, dass es für ihn hier keine Zukunft geben würde. Er ging lange nicht ins Haus zurück, sondern wartete bis er seinen Vater schlafend glaubte.
Dann schlich er in den Giebel, wo er schlief, kramte seine wenigen Habseligkeiten zusammen, band sie in einem Beutel zusammen und warf ihn sich über den Rücken. Ein letztes Mal sah er sich in der spärlich beleuchteten leeren Kammer um, sich sicher, dass er sie nicht vermissen würde, bevor er die knarzende Leiter vorsichtig hinab in die Küche stieg. Er nahm sich einen Laib Brot, einen kleinen Krug, den er mit Wasser füllen konnte und etwas Käse für die Reise mit. Anstatt Abschiedsworten legte Jarik ein Porträt seiner Eltern, das er vor wenigen Tagen heimlich im Garten angefertigt hatte, auf den Tisch. Er hoffte, dass vor allem seine Mutter ihm eines Tages verzeihen könnte.
Als er sich zur Tür wandte, spürte er eine Bewegung seitlich hinter ihm im Türrahmen. Tieftraurige Augen blickten ihn aus der Dunkelheit an. Er wandte seinen Blick nur kurz um, um ein letztes Mal in ihr Gesicht zu blicken. Sie faltete ihre Hände wie zum Gebet und nickte ihm zu. Sie hatte gewusst, dass es einmal so kommen würde. Und nun war der Tag da.
Jarik drehte seiner Mutter den Rücken zu und verließ sein Elternhaus. Der Hof schien leer und fremd in der Dunkelheit der Nacht. Die Schweine quiekten verängstigt. Er straffte seine Schultern zurück und sah in den Himmel voller Sterne. Er hoffte, einer von ihnen würde ihm den Weg zeigen.

"Was treibst du da, jongen?"
Ein fauliger Geruch stieg Jarik in die Nase. Der Gemüsehändler stand direkt hinter ihm. Schnell rollte er die Zeichnung ein und stand ruckartig auf. Der Gemüsehändler war breitschultrig, aber klein. Er konnte es mit ihm aufnehmen, falls es nötig werden sollte. Viele Menschen reagierten wütend, wenn Jarik sie ohne Vorwarnung zeichnete. Sie kannten ihr Spiegelbild nicht und die Unwissenheit gegenüber ihrer eigenen Person verängstigte sie. Sie kam ihnen fremd vor, wie ein Dämon, der auf Papier gebracht wurde. "Ich habe Sie gezeichnet", sagte Jarik mit fester Stimme und sah dem Gemüsehändler in die blutunterlaufenen, leeren Augen. Um sie herum waren unzählige Falten, in denen sich Dreck angesammelt hatte, sodass er aussah, als wäre er von der Erde selbst portraitiert worden. Seine Lippen waren farblos, fast grau und hoben sich kaum von seinem massigen Gesicht ab. Das einzig Wunderbare waren seine Haare. Sie waren so dunkel wie Pflaumenholz und hatten eine einzigartige Farbmischung, die im Sonnenlicht schimmerte, als hätte sich Harz über die Holzmaserung ergossen. Leider konnte Jarik diese Farbgebung mit Hilfe seiner Kohle nicht einfangen. Er konnte lediglich das Spiel von Licht und Schatten darstellen, indem er unterschiedlich stark mit dem verkohlten, schwarzen Holz, das ihm noch blieb, aufdrückte. Ein erbärmliches
Abbild im Vergleich zum Original. So wenig kannte er bisher von der Kunst der Malerei, dass er manchmal zu verzweifeln drohte. Seine Hoffnung ein richtiger Maler zu werden war in den endlosen Wochen im Trubel des Delfter Marktes fast erloschen. Eine tiefgraue Wolke erreichte den Platz und tauchte die Menschenansammlung in einen bedrohlichen Schatten.
"Mich?"
Die Augen des Händlers verengten sich, sodass sie aussahen wie kleine Erbsen, eingedrückt in ein helles Brot mit dunklen Krusten. Jarik spürte, dass der Fremde überlegte, was nun zu tun sei. In seinem Gesicht zeichnete sich zuerst Ungläubigkeit, dann Furcht und schließlich Neugier ab.
"Zeig es mir", befahl er mit lauter Stimme und zog damit die Aufmerksamkeit seiner Kunden auf sich. Es dauerte nicht lange und eine laute, stinkende Menschenmenge umgab die beiden während ihres Gesprächs. Jarik seufzte, rollte zögernd das Papier auseinander und drehte es in die Richtung des Händlers. In dessen grobe, dreckige Hände wollte er es nicht geben. Trotz allen Mängeln an Farben und Kenntnissen war er zufrieden mit seinem Werk.
Die Menge drängte sich hinter dem Händler zusammen, um einen Blick auf das Papier zu werfen. Einige flüsterten, andere kicherten. Äpfel und Kartoffeln rollten über den Boden, während die Menge sich zusammendrängte.
Jarik wartete stumm auf die Reaktion des Händlers. Dieser brummte vor sich hin. Betrachtete das Bild mit seinen kleinen Augen, befühlte, wie zur Bestätigung, sein dickes Wams, hob seine Hände und warf, als würde er sie zum ersten Mal betrachten, einen prüfenden Blick auf sie.
Auf der Zeichnung griff er gerade nach ein paar Kartoffeln, die er prüfend vor seinen Augen wog und auf die Sackwaage legte. Diese liebevolle Geste war in der Skizze von Jarik eingefangen worden. Ein intimer Moment, der von vielen Außenstehenden nicht wahrgenommen wurde. Doch der Gemüsehändler, dessen Blick auf der Zeichnung mit weichen Konturen auf die Kartoffel fiel und dessen Haar im Sonnenlicht schimmerte, veränderte plötzlich seine Gesichtszüge. Ungläubig schaute er Jarik an. Er spürte, dass
dieser junge Zeichner im Moment größter Unruhe in sein Inneres geblickt hatte.
Dann, als merkte er, dass ihn mehrere dutzend Augenpaare neugierig anstarrten, verfinsterte sich sein Gesicht.
"Was hast du mit der Zeichnung vor, jongen? Was willst du von mir?" Zorn überschattete sein Gesicht und es wurde so dunkel wie Roggenbrot.
"Ich... bin Maler. Ich zeichne zum Vergnügen", stotterte Jarik. Er war unsicher, wie die nächsten Reaktionen des Händlers ausfallen würden. Kurz hatte er damit gerechnet, Wohlwollen von ihm zu erhalten. Doch nun war er sich sicher, dass der Händler es auf eine Auseinandersetzung anlegte. Auch dieser Mann konnte mit der Intimität gegenüber seiner eigenen Person nicht umgehen.
Das Publikum spürte, dass der Zeichner gleich eine Tracht Prügel einstecken würde und begann unruhig zu werden. Frauen drängten sich in die erste Reihe, um besser sehen zu können. Andere winkten Bekannte herbei. Ein verwahrloster Bursche schrie mit schriller Stimme: "Verpass ihm eine Tracht Prügel!"
"Zum Vergnügen...ha! Wolltest mich ausspionieren, was? Wer hat dich geschickt?"
Der Händler schien Gefallen daran zu finden, dem Maler gleich seine Faust ins Gesicht zu rammen. Immer lauter schrie er seine Worte heraus, besprühte Jarik mit stinkender, dunkler Spucke und bäumte sich auf wie ein wilder Eber.
"Niemand", entgegnete Jarik und versuchte dem wilden Blick standzuhalten.
"Niemand, hah. Niemand belügt Helge de Ruijter. Dafür wirst du bezahlen, jongen." Er holte mit seiner riesigen Pranke aus und stieß dabei den Apfelkorb, der hinter ihm auf dem Ladentisch stand um. Ein Dutzend Äpfel kullerten um seine Füße. Jarik nutzte den Moment, um die Zeichnung in seinen Gürtel zu schieben. Er hielt schützend die Hände davor. Er wollte nicht der Erste sein, der schlug, das könnte für ihn böse enden, da er nicht wusste, welche Beziehungen der Gemüsehändler in Delft hatte. Dem Händler würde man sicher eher glauben, als einem jungen Fremden, der keine Ausbildung und keine Kontakte in Delft hatte.
"Halt!" Die Stimme durchschnitt die Luft und den Lärm des Marktplatzes so klar, als würde ein Apfel in zwei Teile geteilt werden und das Messer hart auf dem Holzbrett darunter auftreffen. Jarik wagte nicht den Blick von dem finster blickenden Händler zu wenden, dessen Faust in der Luft schwebte. Die Menge drehte sich neugierig um, reckte die Köpfe in die Höhe, um Denjenigen zu entdecken, der ihnen das Spektakel verdorben hatte.
Ein Mann um die 25 Jahre bahnte sich einen Weg durch die Gaffer, die vor ihm zurückwichen. Er trug ein grünes Barett unter dem sich schwarze Haare lockten. Seine Augen, deren Grün vom Sonnenlicht leuchtete wie ein Tümpel mit Algen bewachsen, schauten aufmerksam und wach auf den Händler. Sein Mantel, der, während er schritt,
hinter ihm her wehte, verdeutlichte den guten Verdienst dieses Mannes. Ein Raunen ging durch die Menge, als er vor dem Händler stehen blieb und ihn scharf musterte.
"Was geht hier vor?", fragte er und seine Stimme klang weder aufgebracht noch wütend, eher belustigt.
Auch der Händler schien das zu bemerken und begann wütend mit der erhobenen Faust durch die Luft zu schlagen. "Dieser Nichtsnutz hat mich gezeichnet, ohne dass ich es wollte. Vermutlich ist er ein Spion. Ich kenne ihn nicht", spuckte er die Worte vor die Füße von Jariks Retter.
Die Menge murmelte zustimmend und der Lausebengel, der nun eine Maus gefangen hatte und sie am Schwanz in die Luft hob, schrie: "Hängt den Fremden!"
"Halt dein vorlautes Maul", fuhr ihn eine füllige Magd an und gab ihm eine Backpfeife, sodass er vor Schreck die Maus fallen ließ. "Nun, ich glaube nicht, dass er ein Spion ist, oder?", sagte der Unbekannte sachlich und wandte sich zum ersten Mal Jarik zu. "Zeig mir bitte die Zeichnung, damit ich prüfen kann, ob du wirklich die Ware ausspionieren wolltest."
Jarik gehorchte ihm zögernd, wartend, was nun passieren würde. Als der Mann das Bild musterte, veränderten sich seine Gesichtszüge. Eine Art Erregung meinte Jarik darin zu entdecken. Schnell rollte der Mann das Papier ein und wandte sich an den Händler. "Nun, wie du auf der Zeichnung gesehen hast, zeigt sie nur dich und ein paar
Kartoffeln. Was sollte er damit schon anstellen wollen? Verkauft Eure aardappelen, damit je vrouw am Abend zufrieden ist."
Der Händler ließ seine Faust sinken und brummte verärgert. Doch er schien einzusehen, dass hier nichts mehr zu holen war. Die Wut war ihm aus den Knochen gewichen und die Erinnerung an seine Frau, die von ihm abends eine ansehnliche Summe erwartete, um die Mäuler seiner sieben Kinder zu stopfen, ließ ihn ermüden.
"Lass dich hier nicht mehr blicken, jongen", raunzte der Händler zu Jarik und drehte ihm seinen breiten Rücken zu, sammelte die heruntergefallenen Äpfel auf und bot sie einer jungen Magd an, die sie eingeschüchtert von der vorzeitig verrauchten Wut, bereitwillig kaufte.
"Nun, wie ist dein Name", fragte der Unbekannte, während er Jarik das Bild zurück gab.
"Jarik de Boer, mijnheer." Eilig ließ er es in seinem Gürtel verschwinden. Es hatte ihm heute genug Ärger eingebracht. "Vielen Dank für die Hilfe", stammelte er und begann, seinen Kohlestummel und das übrige Papier einzusammeln. Er wollte möglichst schnell vom Marktplatz fort. Die Niuewe Kerk ragte bedrohlich über ihm auf und die Menge starrte ihn immer noch an, als wäre er ein Wolf im Schafspelz, der sich unter die Herde mischen wollte.
"Eigentlich müsste ich dir danken. Mein Name ist Joannis ver Meer", stellte er sich vor und seine grünen Augen ruhten erwartungsvoll auf Jarik. Dieser starrte ihn weiterhin an. Der Name war ihm unbekannt. Auf dem Dorf, wo er herkam, hatte er nie viel aus Delft erfahren. Er wusste nicht, ob dieser Mann angesehen und von Adel war, der ihn gerettet hatte. Innerlich ärgerte er sich über seine Dummheit, die ihn nun wieder in eine unangenehme Situation brachte.
"Ich habe eine Tochter im Alter von knapp vier Jahren, die du vor ein paar Tagen gemalt hast. Sie war mit unserer Magd auf dem Markt und trug ein hellblaues Kleid."
Jarik wusste sofort von wem er sprach. Er selbst hatte sich über die Schönheit des Mädchens gewundert. Allein ihr Kleid zeugte davon, dass sie aus einem wohlbegüterten Hause stammte. Aber in Erinnerung geblieben waren ihm besonders ihre aufgeweckten Augen, fast das gleiche Grün, wie Joannis ver Meer sie besaß, nur weniger schimmernd, dafür glänzend und klar, wie die Oberfläche eines Sees in Mitten eines Waldes.
"Ihre Augen hatten das gleiche tiefe Grün wie die Ihren, mijnheer, ich erinnere mich. Ihr Haar hatte die Farbe der Ähren auf dem Feld, wenn die Sommersonne auf sie nieder scheint. Leider konnte ich die Reflexe nicht mit meiner Kohle zeichnen", sprach Jarik gedankenverloren und setzte hastig hinzu: "Ich hoffe, sie war nicht enttäuscht über das Werk."
"Nein, nein, im Gegenteil. Sie erwählte für die Zeichnung einen Ehrenplatz auf dem Tisch neben ihrem Fenster, so dass alle ihr Bild bewundern können", führte Vermeer aus. "Ja, sie war so begeistert, dass sie jemand gezeichnet hat, dass sie mir es um so übler nahm, dass ich es noch nicht getan hatte", fügte er nach einer Pause hinzu und sah ihn wieder mit dem erwartungsvollen Blick an, der Jarik unruhig stimmte. Der Fremde schien etwas von ihm zu erwarten, dass er noch nicht verstanden hatte.
"Weißt du, ich bin Maler", setzte er einen neuen Versuch an und endlich setzte bei Jarik die Erkenntnis ein. Johannes Vermeer war ein Maler in einer Delfter Gilde und würde ihn nun dort anklagen. Da er selbst kein ausgebildeter Maler war, waren seine Künste nichts Wert. Eigentlich hatte er kein Recht dazu, sie für Geld zu verkaufen.
"Es...es tut mir Leid. Ich brauchte das Geld und das Einzige, was ich zustande bringe, sind diese Skizzen", setzte Jarik an, doch er wusste, dass er verloren hätte, würde Joannis ver Meer ihn wirklich bei der Gilde anzeigen wollen. Dann hatte seine Zukunft als Maler bereits hier, auf dem stinkenden Markt umringt von Mägden und Knechten, ein jähes Ende gefunden.
"Keine Sorge, ich bin hierher gekommen, um dir ein Angebot zu machen. Dafür, dass du ein ungeformter Maler bist, sind deine Skizzen recht gut und ich könnte Hilfe in meinem Atelier gebrauchen."
Jarik konnte nicht fassen, was er gerade hörte. Ihm wurde schwindelig bei der Aussicht auf eine Anstellung bei einem Maler. Das hatte er in seinen kühnsten Träumen im Giebel auf dem Hof seiner Eltern nicht zu hoffen gewagt. Für einen Moment schien der Stern am Himmel, den er betrachtet hatte, während er den elterlichen Hof verließ, wieder hell und deutlich für ihn zu leuchten.


Geboren am 11. April 1989 in Oelde. Wiebke Kalläne studierte an der Universität Bielefeld und der Pädagogischen Hochschule in Wien. Nach dem 1. Staatsexamen in Biologie und Deutsch folgte eine Ausbildung zur Redakteurin und anschließend schloss sie die Ausbildung zur Lehrerin mit dem II. Staatsexamen ab. Heute ist sie Lehrerin einer Schule in Lippstadt und lebt in Oelde.

Apfelgelb. Die heimliche Liebe des Malers. Solibro: Münster 2019.

Zu: Apfelgelb

Literaturtipp!
Erschienen in: Münsterland-Magazin, H3-2019.

Das Buch ist grandios, geht einem an die Nieren und ans Herz. Prägnant und auf den Punkt.
Von: Frank Jöricke. Erschienen auf: www.solibrio.de.

Mit einer bildlichen Sprache, die so farbgewaltig ist wie Vermeers Gemälde, erlesen wir uns die mögliche Schaffungsgeschichte des Gemäldes "Briefleserin am offenen Fenster". [...] Eine kleine, aber feine Herbstlektüre.
Von: Franziska Kommert, Thalia-Buchhandlung Göttingen. Erschienen auf: www.solibro.de

Kalläne ist ein kurzweiliges, unterhaltsames Buch gelungen [...] Wer historische Romane mag, sich zugleich für Malerei interessiert und eine [...] Liebesgeschichte
schätzt, kommt in jedem Fall auf seine Kosten.
Erschienen in: Die Glocke, 21.09.2019.

Schreiben bedeutet für mich Freiheit.

Auskunft Autorin

Aktualisiert 04.07.2021