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Despina Malakov


Despina Malakov © privat
Despina Malakov
1963
Kjustendil, Bulgarien
Bochum
Bochum, Dortmund
Ruhrgebiet, Westfalen komplett
Lyrik
Brückstraße 31
44787 Bochum
0234-6404703 oder 0234-3244992
0173-4451044

Arbeitsproben (1)

 

Aus: REISE NACH MONGOLIEN

Das erste, an das ich mich erinnern kann, ist ein kleines Zimmer. Wenn man durch die Öffnung geht, liegt auf der rechten Seite ein Bett. Es ist ziemlich hart und unbequem, nicht wie dieses meiner Schwester. Auch nicht wie meins. Meins heißt Matratze und hat keine Beine. Nein, dieses Bett ist fast so hoch wie die Rundung auf der wir essen, nur viel schneller. Da muß man kurz liegen und ein paar Minuten danach aufstehen.
In dieses Zimmer kommen zwei Frauen, die wie Bleistifte aussehen - rein und raus - und ein Mann, dessen Spitzname Dok ist, sonst heißt er Freund. Sie müssen die Töchter von dem kleinen Mann sein, egal, was Dok sagt, sie tun es sofort.
Hier gibt es sehr schöne glitzernde Fische, ich sehe sie immer, wenn ich da liege. Sie schwimmen in der Luft mit ihren farbigen Schuppen und ab und zu zwinkern sie mir mit den Augen zu. Einen Fernseher gibt es auch. Er ist klein und hat ein eigenes Bett und viele Knöpfe. Dok nimmt einen zur Hälfte abgeschnittenen Apfel, befestigt ihn an einem Kabel, spuckt aus einer Tube grünes Gelee, mit dem er den Apfel bedeckt und fängt an, mich einzucremen. Das nennt er "Untersuchung". Dabei guckt er mich nicht an. Nein, er sieht die ganze Zeit fern. Spricht mit meiner Mutter, ich glaube, er erzählt ihr den Film. Als er fertig ist, kommt eine seiner Töchter und wischt mir die Creme ab. Dann verschwinden alle in andere Zimmer – rein und raus, rein und raus – eine lange Schlange von Müttern mit ihren Kindern warten schließlich darauf, eingecremt zu werden.
"Ach, Otto!", sagt meine Mutter immer, wenn wir schon auf der Treppe sind. Sie sagt es soo nett, daß ich jedes Mal lächeln muss. Ich glaube, ihr gefallen die Fische auch.
Ich komme ursprünglich aus Mongolien. Das ist eine Insel, irgendwo in Amerika. Meine Mutter ist extra dahin gefahren, weil sie so großen Durst hatte, sagt Oma.
Stellen Sie sich vor, meine Mutter – sehr durstig – ist stundenlang nur meinetwegen gefahren! Während der Fahrt hat sie sich nicht gut gefühlt, ich glaube, sie ist seekrank geworden, hat es aber ausgehalten und... da bin ich! Zuerst habe ich mein rechtes Bein gezeigt, und alle haben lange Zeit darauf gewartet, das andere zu sehen.
Auf der Rückfahrt ging es meiner erschöpften Mutter noch schlechter. Sie habe sich schließlich Mongolien anders vorgestellt und habe nicht gewusst, wie mein Vater mit dieser Nachricht umgehen wird.
Und Überraschung!
So ein energisches Baby habe keiner erwartet. Ich bin fünf oder sechs Kilo schwer gewesen, fast eine Tonne, die Hälfte sei, wie mein Vater immer behauptet, in dem Kopf. Vielleicht ist er mir deswegen so wichtig.
Mir macht es großen Spaß, von meinem Bett mit dem Kopf nach unten zu fliegen. Die Erde war mit Stückchen aus Bäumen bedeckt, die verschiedene Figuren bilden. Jedes Mal, wenn ich sie mir angesehen habe, habe ich eine große Anziehung verspürt. Dann habe ich mir eins von den Holzstückchen ausgesucht und versucht, es mit meinem Kopf zu erwischen. So habe ich Dok, seine Töchter und die Fische kennen gelernt.


Geboren am 18. Januar 1963 in Kjustendil, Bulgarien, lebt aber seit 1990 in Deutschland. Malakov verfügt über eine deutschsprachige Ausbildung und arbeitete zwischen 1980-1982 als Dolmetscherin in Rila Kloster, Bulgarien. Sie war dann 1982-1990 freischaffende Künstlerin und nahm an Gruppensusstellungen in Kjustendil und Sofia, Bulgarien teil. Mitglied der bis 1990 verbotenen Literaturgruppe "39" in Bulgarien. Sie hat seit 1990 ihren Wohnsitz in Deutschland und war 1996-1999 Mitarbeiterin einer Frauenberatungsstelle im Bereich Betreuung und Beratung von Opfern von Menschenhandel. Seit 1998 ist sie als Dozentin für IB Dortmund tätig und ist seit 2000 Vorstandsmitglied im Bundesverband junger Autoren e.V.

2000: 2. Preis Literaturpunkt Unna e.V.

Almanach. Struma (Bulgarien)
Izhod (Ausgang). Erzählungen (Bulgarien). 1986.
Insel der Sicherheit. Mona e.V. 1998.

Rot, Lust und andere Augenblicke. Gedichte mit Illustrationen der Autorin. 2001.
Rind & Schlegel. München 2000.
Bulgarische Dichterinnen seit dem 17.Jh. Anthologie in zwei Bänden. 1993.
EGN (Einheitliche bürgerliche Nummer). Gedichte. 1990.

1979-1990 Veröffentlichungen in diversen bulgarischen Literaturzeitschriften und -zeitungen.

Auskunft Autorin, Eigenrecherche

Aktualisiert 04.07.2021