Christian Matzerath

Aus: GENIALE GANOVEN ... ENTFÜHREN BILLYS BÄREN (1. und 2. Kapitel)

1. Kapitel
EINE GUTE NACHRICHT

Die Ganoven im Café Lebenslänglich starrten auf den Fernseher über der Theke und verfolgten aufmerksam die "Diebesschau" mit Susanne Raubner.
"Und nun noch eine Nachricht aus der Region: Einem Insassen des städtischen Kinderheims "Haus Regenbogen" ist es gelungen, aus dem Heim zu fliehen", verlas die Moderatorin. "Der 10jährige Nils gilt seit gestern als vermisst. Er wurde zuletzt gegen 16:00 im Toystore "Microplüsch" in der City gesehen. Zwei Kaufhausdetektive haben ihn beim Abzocken eines Teddybärchens erwischt. Nils ist etwa 1,50 Meter groß, hat blondes, gelocktes Haar und braune Augen. Er trug eine rote Jacke mit Streifen, ein dunkelblaues Sweatshirt mit beigefarbenem Kragen, Jeans und dunkle Sportschuhe. Wer Hinweise hat, hält gefälligst dicht! Wir wollen ja nicht, dass er wieder zurück ins Heim muss. Und damit zu Lydia Langfinger und der Wetterschau."
"Lokalrunde, Kuddel!", rief ein Ganove. "Das muss gefeiert werden. Auf den kleinen Ausbrecher!" Die Gäste im Lebenslänglich jubelten und riefen: "Nieder mit den Kinderknästen!" und "Aus dem Jungen wird mal ein großer Ganove!"

"Die Wetterschau bei Crime TV wird Ihnen präsentiert von ... Extortol, dem Halstonikum für den Ganoven - verzerrt jede Stimme bis zur Unkenntlichkeit! Macht aus jeder noch so harmlosen Weicheistimme eine böse Verbrecherröhre", pries eine Stimme, die offenbar genau diesen Spezialsaft zu sich genommen hatte, so wie sie aus dem Fernseher krächzte.
Nach dieser Werbeeinblendung erschien Lydia Langfinger, die Wetterfee von Crime TV, auf dem Bildschirm. Sie machte keinen glücklichen Eindruck.
"Hallo, liebe Kollegen, ich sag's gleich vorweg, damit keine falschen Hoffnungen aufkommen: Der Winter hält uns weiter in Geiselhaft."
Lydia lächelte dünn und mitleidig in die Kamera. Sie zeigte mit den berühmten langen Fingern auf die Wetterkarte, wo ein grauer Fleck mit einem T und eine stilisierte Schneeflocke über Norddeutschland hingen.
"Aus der Polarregion kommt dieses mörderische Tief und überfällt uns mit Schnee und Temperaturen mit bis zu -20°C. Was bedeutet das für Sie, liebe Kollegen? Kälte, Eis und Schnee behindern den Klaubetrieb. Fachleute empfehlen, knifflige Coups und Kleinkriminaität unter freiem Himmel auf wärmere Tage zu verschieben. Und Recht haben sie: Bei der Kälte macht das Geschäft einfach keinen Spaß!"
Das Bild hinter ihr wechselte in die Tempertaurvorhersage für die Nacht.
"Die kommende Nacht soll auch im Flachland richtig knackig kalt werden - um die -25°C! Außerdem Glättegefahr auf den Straßen. Da gerät die Flucht im Gangstermobil schnell zur Schlittenfahrt!"
Lydia faltete die Hände und sprach jetzt ganz besonders eindringlich in die Kamera: "Wer bei den Temperaturen unbedingt raus muss, sollte eine Mütze aufziehen! Denn mit Gehirnfrost im Schädel lassen sich schlecht krumme Dinger aushecken. Besseres Wetter und fette Beute wünscht Ihre Lydia Langfinger."


2. Kapitel
EINE SCHLECHTE NACHRICHT

Die Fleischwurst mit dem Clownsgesicht auf dem Butterbrot grinste irgendwie hämisch, fand Jasper. So als wüsste sie, dass gleich etwas passieren würde. Und tatsächlich: Jasper hatte dem Clown noch nicht das linke Ohr abegebissen, da verkündete sein Vater: "Familie, ich stelle mich erst auf Skier, wenn wir Nils zurück ins Heim gebracht haben!"
Jasper und seine Mutter schauten ihn fragend an.
"Die SoKo braucht mich. Unser Kurzurlaub fällt ins Wasser. Tja, erst die Arbeit, dann das Vergnügen."
"Och, Menno! Ich wollte doch den Snowboardkurs machen", protestierte Jasper. "Den Ausreißer findet die Bull.. äh Polizei doch auch ohne deine Hilfe, Papa."
Kriminalhauptkommissar Heinz Schlösser und seine Frau Christa schauten ihren Sohn vorwurfsvoll an.
"Was ist, wenn ich den Kollegen nicht helfe und sie finden den Jungen erst, wenn er längst erfroren ist?", fragte sein Vater.
"Das Leben dieses Jungen ist doch wohl wichtiger als dein Snowboardkurs, findest du nicht?", fragte Jaspers Mutter eindringlich.
Sie hatten natürlich Recht. Jasper verfluchte diesen Nils. Musste der ausgerechnet im Winter aus dem Heim weglaufen?
"Wir werden mit allen verfügbaren Kräften jeden Winkel der Stadt nach dem Jungen absuchen, bis wir ihn gefunden haben", sagte Heinz entschlossen, biss energisch in ein Senfgürkchen und sagte dann schmatzend: "Eine solche Polizeiaktion hat es in unserer Stadt noch nicht gegeben!"
Jasper begriff die Gefahr, die in den Worten seines Vaters steckte und fasste einen Entschluss.