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Andreas Rumler


Andreas Rumler © privat
Andreas Rumler
1955
Bremen
Elsdorf
Elsdorf
Rheinschiene, Rheinland komplett
Lyrik, Sachbuch
Ginsterweg 46
50189 Elsdorf
02274-700723

Arbeitsproben (3)

 

ERFT-LAND-SPLITTER. LYRISCHE NOTATE (Auszug)

(…)
XIII
kriege zersplittern die welt und im
splitterfeld geht ein gespenst um
reich an erinnerungen das karge Erft-Land
an heere an verheerende plünderungen die
feldherren verschmähen es nicht erbeuten
auch kleinvieh pressen noch das letzte heraus
nie wieder aufgebaut das im krieg der konfessionen
verwüstete hochschloss auf steigen bilder
düstere schatten glaube und aberglaube toben hier
auch in der kleinen perle der flussauen dem
trutzig bewehrten städtlein Kaster umgeben
noch heute vom mauerring hoch oben vom
torturm blickt eine heilige aus dem
schneewittchensarg über den lauf
der zeit und den weg zum markt in richtung
eines denkmals inmitten des ortes:
wer vor diesem kreuze
5 VATER UNSER 5 AVE MARIA 5 EHRE SEI DEM VATER
andächtig betet gewinnt einen ABLASS von 5 jahren

menschen als HEXEN verbrannt es triumphiert die
angst des zölibats vor dem weib
gespenstisch der aberglauben
fordert blutige opfer hier
feiert der gläubige wahn orgien
vor betreten des verrufenen Berrendorf in der
nähe riet man reisenden sich zu bekreuzigen
am heiligenhäuschen die dämonische gewalt zu bannen
wer vor diesem kreuze
5 VATERUNSER 5 AVEMARIA 5 EHRESEIDEMVATER
andächtig betet gewinnt einen ABLASS von 5 jahren

bis nach London und ins ferne Augsburg
sollen gerüchte gedrungen sein dass zu Kaster
GAR BÖSES sich umtrieb der Stubbe Peter samt
seiner tochter und GEVATTERIN soll sich hier in
einen menschen fressenden WERWOLF verwandelt
haben und dämonische gräuel begangen
lange genug mit glühenden eisen gemartert hätt’
er gewiss noch gestanden er sei
der teufel selbst oder der papst
wer vor diesem kreuze
5 VATERUNSER 5 AVEMARIA 5 EHRESEIDEMVATER
andächtig betet gewinnt einen ABLASS von 5 jahren

fromme meuchler verächter des gebots nicht zu töten
der nächstenliebe quälten und mordeten Stubbe
samt seiner tochter fragten sich wohl andächtig wie
viele gebete erforderlich seien um weiterhin foltern zu dürfen
nie war so wohlfeil und auch so modern die metzelei
seelenheil am fließband montiert die produktion
der gebete getaktet vom rosenkranz
wer vor diesem kreuze
5 – 5 – 5 VATERUNSERAVEMARIAEHRESEIDEMVATER
andächtig betet gewinnt im
aderlass der sünden für 5 jahre
einen ABLASSLASSLASSLASSLASS
(…)


EIN LAND LIEBEN

Selbstgefangene muscheln und eine porrenpann auf Hooge
an Helgolands roten felstürmen branden die nebel davor
tuten tief unten im grau die hörner der boote.

Der blick vom schlösser-trio über die Saale auf Dornburg
mit dem kamm grüßt Loreley rheinaufwärts gen Bacharach
statt des rabbi antworten ihr gäste aus Japan ich weiß nicht was ...

Beschämt höre ich ihre fehlerfreien verse auf deutsch
in ihrer sprache begrüßen könnte ich nicht die mein land so lieben.


GENIUS LOCI TUBINGENSIS

auffällig wie Feuerbach
Goethe und Haller die stadt
lobten: wie von höherer
warte; rühmten sie doch vor
allem Tübingens anmutige
lage in den tälern
als lehrling des buchhandels
notierte Hesse 1895: die stadt
gefällt mir wohl, besonders da
ich nicht drin, sondern vor
derselben draußen wohne
begeistert pries Becher
die harmonie zwischen burg
brücke und neckar -
vor kot könne man
nirgends wandeln
mokierte sich noch Vischer
wenige generationen zuvor

schwimmende
hölderlintürme
zu sehen und seinen
blick aus dem rund bei
Ernst und Lotte Zimmer
voll ehrfurcht nachzuempfinden
kommen aus aller welt
bewunderer in den kahlen raum
frühling sommer herbst und winter
den zärtlich geliebten
wirten des greisen dichters
hat Härtling sein denkmal
gesetzt nahmen sie den
unmenschlicher kälte
entflohenen auf gewährten
Scardanellis träumen exil
trotz der umnachtung ein
hellerer kopf als viele
inmitten finsterer reaktion

noch kann man die stufen
herabsteigen von der kapelle
des Stifts in den hof und durch
das tor in die freiheit
hinaus ins offene sprangen
Hölderlin Hegel und Schelling
der revolution den baum
aufzurichten den blick in
die zukunft gen Frankreich gewandt

aus dem exil kam
als einer der letzten
Hans Sahl an den neckar
bereitwillig gab er auskunft
fragenden nachgeborenen
Bloch und Mayer
fanden ein zweites exil
Fried erinnerte - 50 jahre
danach - an alte
bücherbrenner und
warnte vor jenen
die erneut texte
verbrannt sehen wollen
und aus schulbüchern
verbannt

mit klammen fingern stellte
der lehrling bücher ins regal im
lager über der gußeisernen wendel
noch besteht im haus
der buchdruckerei
des magisters Cellius
Heckenhauers antiquariat
archaisch angesichts
moderner buchwarenhäuser
als erbe Hesses pflegt
der lyriker Borowsky
des hauses schätze - und
übersetzt ein mittler
zwischen kulturen macht
fremder zungen kunst
hier heimisch der geist
des ortes lebt

nicht die höhe ihrer büro-kathedralen
oder reichtum der paläste machen
einzig die größe einer stadt aus
gälte die länge ihrer mauern
als kriterium: Visby auf Gotland
wäre noch heute eine metropole
Tübingen die große kleine stadt
idylle am Neckarstrand
lebt vom geist der in
ihren mauern wohnt
und weiter wirkt.


Geboren am 13. Februar 1955 in der Hansestadt Bremen. Er studierte ab 1974 in München und Tübingen Literaturwissenschaft, Politik, Empirische Kulturwissenschaft, Archäologie, Geschichte und Kunstgeschichte sowie Philosophie (Erstes und zweites Staatsexamen in Deutsch, Politik und Geschichte). Anschließend absolvierte er 1984 bis 1986 in Köln ein Rundfunk-Volontariat, lebte und arbeitete dort bis 1988 als Rundfunk-Redakteur. Seither überwiegend freiberufliche Tätigkeit als Autor und Journalist. Andreas Rumler ist Mitglied des PEN. Seit 2000 lebt er in Elsdorf.

Exil als geistige Lebensform. Brecht und Feuchtwanger. Ein Arbeitsbündnis. Edition A. B. Fischer: Berlin 2016.
Literarische Spaziergänge durch Tübingen. Auf den Spuren von Hölderlin bis Härtling. Theiss: Stuttgart 2013.
Tübinger Dichter-Spaziergänge. Auf den Spuren von Hölderlin, Hegel & Co. Attempto: Tübingen 2003.
Goethes Lebensweg. Wanderungen durch Leben und Werk. DuMont: Köln 1999.

Erft-Land-Splitter. Lyrische Notate. edition fundamental: Köln 2007.

Johann Wolfgang Goethe. Dichter - Staatsmann - Universalgenie. Weimarer Verlagsgesellschaft: Weimar 2015.
Schleswig-Holstein. Kultur, Geschichte und Landschaft zwischen Nord- und Ostsee, Elbe und Flensburger Förde. DuMont: Köln 1997, 2000, 2007, 2010.
Der Main. Bayreuth, Bamberg, Würzburg, Aschaffenburg, Frankfurt: An der "Straße der Kaiser und Könige". DuMont: Köln 1994.
Schön gedeckt. Tische liebevoll arrangiert. Isis Verlagsgesellschaft AG: Chur/Schweiz 1993, 1995.

Auskunft Autor

Aktualisiert 04.07.2021