22041 Hamburg
Arbeitsproben (2)
Aus: TEORI
"KENNEN SIE TAHITI?" FRAGTE DER FREMDE.
Er verließ den Toten, setzte sich zu der Tahitianerin und bot ihr von den Früchten an, die er in seinem Beutel mitführte. Sie hatte aufgehört zu weinen. Sie aß eine Orange. Dann streifte sie ihren Überwurf ab und legte sich auf den Rücken. Wenn Georg richtig verstand, sagte sie Trost, Trost und zog ihn zu sich heran. Es ging sekundenschnell, und die Frau verzog den Mund und sagte, nicht gut, und beim zweiten Mal war es gut, und dann zog sie sich wieder an. Noch Stunden später, als Georg bei Edgecumb im Heck des Bootes saß, meinte er die Brustwarzen der Frau an den Innenseiten seiner Hände zu spüren.
Am nächsten Tag liefen sie aus und steuerten Tahiti an. "Eine letzte, sichere Zwischenstation", sagte Cook.
Der Weiße, dachte Georg, Traumauge. Teori. Ta-hi-ti. ... An Land warf er sich sofort in den Sand. Er wälzte sich und schrie und spürte Nässe, Sand und Wind auf dem Körper.
"Bist du jetzt völlig verrückt geworden?" fragte sein Vater. ... Er grub die Hände in den Boden und fühlte Tahiti am Rücken. Er blieb lange so liegen.
Aus: DER TODFEIND
Die Palme lebt noch, schrieb Theo Mannlicher. Auch wenn sie aussieht, als müsse sie bald kippen, als sei sie verfault oder vertrocknet – sie lebt.
Theo fühlte sich an diesem Abend wie ein kleiner Junge. Er sah Charlotte an, und sein Herz klopfte, wenn für wenige Sekunden Spuren von Fett auf Charlottes Lippen glänzten und sie sich einmal mit Zeigefinger und Daumen eine Gräte aus dem Mund zog, auf den Tellerrand legte und um Verzeihung bat. ... Theo nahm die Bilder von der Wand, stellte eine Kerze auf den Boden und bat Charlotte, sich davorzustellen. Sie begriff sein Vorhaben und fragte, wie sie die Arme halten solle und den Kopf. Arme hängenlassen, Kopf normal, sagte er und zeichnete den langen dünnen Schattenriß Charlotes an die Wand. ... Neben ihre rechte Schulter kritzelte er ein Auge.
"Das bin ich?"
"Auch das, ja."
Sie fuhren eine schlammige Straße durch Reisfelder hinab, die im verschleierten Licht der Sonne silberten. Im Süden sah Theo bereits erste Ausläufer der Kalksteinberge von Kwei Lin, und es begann wieder zu regnen. Sie fuhren durch ein Dorf, das aus etwa einem Dutzend Hütten bestand, die sich vor der Nässe duckten. Am Ausgang des Dorfes stand ein Galgen, an dem ein Erhängter in Wind und Regen pendelte und tropfte. ... Nachdem er einige Stunden marschiert war, befand er sich mitten in den Kalksteinbergen von Kwei Lin. Wie verbogene grüne Fingerhüte hoben sich Hunderte von Bergen aus grünen Tälern in den Himmel, und die verdampfende Feuchtigkeit machte den Himmel grün, und die Bäche schimmerten grün. So grün, dachte Theo, war es überhaupt noch nie in meinem Leben. Grün, das war die Farbe Kwei Lins.
Als er in ein Dorf der Dong kam, brach die Sonne die Wolkendecke auf, und es wurde sofort heiß. ... Der Schwarzhaarige taumelte eher, als daß er geradeaus ging. In akzentfreiem Amerikanisch sagte er: "Ich bin der Narr von Kwei Lin." ... "Gut", sagte Theo und folgte dem Mann.
Vita
Geboren am 25. September 1964 in Duisburg. Abitur 1985, Studium der Germanistik und Philosophie an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf. Abschluß als Magister Artium mit einer Arbeit über Exotik und Reise in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Nebenjobs, um Zeit zum Schreiben zu haben. Umzug nach Hamburg. Lesungen mit Reimer Eilers. Mitglied in der Mara Cassens Jury. Creative Writing Seminare. Einladung zur Endrunde des Open Mike Literaturwettbewerbs nach Berlin. Einladung zu den Weidener Literaturtagen. Zahlreiche Lesungen. Er lebt in Hamburg und arbeitet jetzt zusätzlich als Creative-Writing-Lehrer.
Auszeichnungen
2004: Literaturpreis Ruhrgebiet
Prosa
Vor der Wüste. Roman. dtv Premium: München 2004.
Der Todfeind. Roman. dtv Premium: München 2001.
Teori. Roman. dtv Premium: München 2000.
Quellenangabe
Auskunft Autor