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Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Korff


Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Korff © privat
Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Korff
1939
Hohenlimburg
Hohenlimburg
Südwestfalen, Westfalen komplett
Prosa, Sachbuch
05109-63019
05109-565852

Arbeitsproben (1)

 

ÜBER LUFT

Die Luft ist je nach Wetterlage und Verschmutzung trüb und klar, und doch sehen wir sie nicht, sie ist durchsichtig. Gelänge es uns, ihre Bewegungen sichtbar zu machen, so würden wir erstaunt sein, wie sehr sie lebt. Sie gleicht dem Wassertropfen, der einem Teich entnommen und unter das Mikroskop gelegt wird. Um dies zu erfahre, muss man nur in die rechte Situation kommen. Ich besitze einen Flugdrachen, den ich mit einem Motor versehen habe, der mich von Aufwinden unabhängig macht. Ich kann über Land ziehen, fliegen wohin ich will, und da mein Gerät mitsamt der Ausrüstung nicht mehr als drei Zentner wiegt, bekomme ich die geringste Luftbewegung mit. Bei Windstille am frühen Morgen oder am späten Abend entdecke ich besondere Regionen, werde Seismograph oder Ozeanograph der Luft. Seither habe ich Respekt vor Phänomenen, die zwar die Theorie kennt, die aber bislang dem Segelflieger, Motorflieger der Hubschrauberpiloten unbekannt bleiben, weil ihre Fluggeräte zu schwer, zu schnell sind und sie sich auch nicht ständig in Bodennähe aufhalten.
Gelänge es also, die Luft einzufärben, sie in eine Art wehenden Brom zu verwandeln, in dessen Schluchten, auf dessen Wänden und Berghängen sich weiße Parallelen abzeichneten, ähnlich den Linien im Venezianischen Glas, so würde heute, an einem wolkenlosen Augusttag, bei fünf Knoten Wind der Himmel, der so planblau ist wie die Oberfläche eines Sees, augenblicklich verdüstert und bizarr durchwurzelt wie vom Boden eines Fichtenwaldes aus zu sehen sein. Wir sähen über uns fasernde Korkenzieher, Linien, die schwären, unvermittelt jagen, Zöpfe, die sich flechten, Mäntel, Rohre, die sich stauchen und an ihrem Fuß wie gebrochener Rhabarber sich aufringeln. Hinter jedem angeblasenen Berg steht ein Rotor in der Landschaft. Er trägt auf seiner Oberfläche rindfleischartige Riefen, dreht sich wie ein Mühlenrad unter dem Wind und schraubt Vögel in sich ein, die ihm zu nahe kommen. aber es wagt sich kein Bussard ins Lee, er weicht entweder an den Boden aus oder überfliegt das sich wickelnde Gebiet. Als ich mit dem Drachen in eine Rotor gerate, fühle ich mich vor elastischen Händen heruntergezogen und kann mich nur noch mit Vollgas und unter erheblichem Geschaukel entwinden. Seitdem erwarte ich diese Walzen hinter allen Hindernissen und sehe sie sogar in ihrer Intensität. Ihre Formen wechseln von stupfen Zigarren bis hin zu Ampullen mit spitzen Enden, und diese stationären Zeppeline stehen vielfach über dem Land. Die Warmluftkabine dagegen, die sich senkrecht zur Horizontlinie hochdrehen und zumeist vom Wind schräg versetzt den Wolken nachhängen, sind ebenso häufig. Die vertikalen Raumlinien dieser Thermikschläuche muss man sich wie Seile vorstellen, die von den Wolkenrändern auf die Erde zu einem Quellgebiet feuchtwarmer Luft hinhängen. Die Kumuluswolke, sieht man sie vollständig, gleicht daher einem schlappen Höhenflugballon oder einem Fallschirm mit Schleppanker. Noch häufiger sind Kugelphänomene wie die Blau- oder Sprudelthermik, interessanter sind jedoch die seltenen.
Wer die Trompeten eines Flusswirbels kennt, die kleinen schwarzen umeinandertreibenden Löcher, die sich hinter der Abrisskante eines Brückenpfeilers bilden und in Gebirgsbächen Strudellöcher in den Fels bohren, der wird auch in der Luft diese zuckenden schwarzen Röhren hinter einem Hindernis anwachsen, periodisch schwanken und vergehn sehen. In ihnen zieht es rechts herum, denn die Ablenkung wegflutender Massen durch die Erdrotation zeigt sich zuverlässig über jedem Abflussloch. Man sieht z. B. de Flaun, mit einem Male jagt er im Kreis herum und zieht in schnellen Steilkurven hoch. Die innere Wand dieser Lufttrompete funkelt schwarzsilbern und ist im gesamten Wirbel wirbellos, dass heißt laminar und fest mit parallelen Raumlinien wie ein glatter Wasserstrahl, und das Ende des Wirbels schlägt auf dem Boden herum wie der Schwanz einer erregten Katze. Als große Windhose oder Hurrican wird dieses Phänomen gelegentlich sichtbar.


Geboren am 29. Dezember 1939 in Hohenlimburg. Studium der Germanistik und Philosophie in Heidelberg und Basel. 1967 Dr. phil. in Basel. 1974 Habilitation in Hannover (Philosophie). 1978 außerplanmäßiger Professor für Philosophie an der TU Hannover. 1980 Professor. Er lebt in Wennigsen im Landkreis Hannover.

2001: Sprachen der Philosophie. Symposium an der Universität Karlsruhe und Festschrift für Friedrich Wilhelm Korff zum 60. Geburtstag
1985: Niedersächsischer Künstlerpreis, Hannover
1985: Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin
1984: Hermann-Hesse-Förderpreis, Karlsruhe

Der Philosoph und die Frau. Zur Geschichte einer Mesalliance. Essays. Klöpfer und Meyer: Tübingen 1995, 1999.
Auswege. Erzählungen. Hanser: München 1983.
Der komische Kierkegaard. Frommann-Holzboog: Stuttgart 1982.
Drachentanz. Ein Fliegerbuch. Hanser: München 1981.
Manfred Freiherr von Richthofen. Der Rote Kampfflieger. Matthes & Seitz: München 1977 (Mitverfasser).
Der Katarakt von San Miguel. 24 Geschichten. Rogner & Bernhard: München 1973.

Simplonflug. Hörspiel über den Flieger Geo Chavez. WDR: 1985.

Diastole und Systole. Zum Thema Jean Paul und Adalbert Stifter. Francke: Bern 1969.

zahlreiche fachwissenschaftliche Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen.

Wider den absoluten Anspruch: Gerd-Günther Grau zum 75. Geburtstag. Königshausen & Neumann: Würzburg 1998.
Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Niemeyer: Tübingen 1992ff. (Mitherausgeber).
Celsus. Gegen die Christen. 1991.
Redliches Denken. Festschrift Gerd-Günther Grau zum 60. Geburtstag. Frommann-Holzboog: Stuttgart 1981.

J.P. Wallmann: Friedrich Wilhelm Korff. In: J.P. Wallmann: Wein und Wasser. Literatur in Westfalen und westf. Literatur. Bielefeld, Münster 2000.

Lexikoneinträge:
Westfälisches Autorenlexikon. Hrsg. von Walter Gödden, Iris Nölle-Hornkamp. Bd. 4: 1900 bis 1950. Paderborn 2002.
Kürschners deutscher Literaturkalender. Hg. von W. Schuder. Berlin, New York 2001.
Wilhelm Kosch: Deutsches Literaturlexikon. 3., völlig neu bearb. Aufl. Siegmar Hohl, Carl Ludwig Lang (Hg.). Bd. 9. Bern, München 1984.

Auskunft Autor, Lexikon, Westfälisches Autorenlexikon. Hrsg. von Walter Gödden, Iris Nölle-Hornkamp. Bd. 4: 1900 bis 1950. Paderborn 2002.

Aktualisiert 04.07.2021