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Josef Krug


Josef Krug © privat
Josef Krug
1950
Bad Brückenau/Unterfranken
Dortmund, Ruhrgebiet, NRW
Ruhrgebiet, Westfalen komplett
Prosa, Lyrik, Anthologie
Ja

Arbeitsproben (4)

 

REGEN

und die Bürsten des Windes
über die Dächer
und wieder das Rauschen
Im Regengeräusch
gleit' ich zurück
in vergangener Regen
Gekrach auf ein Blechdach
Geklimper die Ziegel hinab
seh' unter triefendem Dachrand hervor
die von den Tropfen getroffenen
Kiesel springen in einer Allee
Regen fiel lange vor mir
wird lange nach mir noch
in die Parks, in Laubschirme fallen
die Blätter hinab in Kaskaden
mit wechselnder Intonation
in Kornfelder, Gras oder
wieder in kahles Geäst, auf die bloße
Erde, auf Wasser, Eisflächen
im Nebel, in einen rauchenden
Ozean aus Säure vielleicht
oder auf die phantastische Flora
eines andern Planeten
auf dem jemand wachliegt
im Regen, im Hintergrundrauschen
der Reifen, die ferne vorbeiziehn
auf dem nassen Asphalt

Aus: Lesebuch Josef Krug. Zusammengestellt von Walter Gödden. Nylands Kleine Westfälische Biblilothek 102. Aisthesis: Bielefeld 2021.


SPUI

Amsterdam

Über die Schwelle
in das Gewimmel des Sommertags
auf dem nässeglänzenden Spui
mit den Cafés und dem Trödel
am Rand, wo ich mich niederließ
ein Tourist auf der Tour
durch Gassen, an Grachten entlang
müde geworden, bemüht, einem unklaren
Einfall Worte zu finden
trieben die Worte herauf
und über die Schwelle
davon mit den raschen
Flecken Blau über den Giebeln
mischten sich unter die Stimmen
ein Hund lenkte sie ab, der Kuss
eines Paars auf der Bank gegenüber
saugte sie ein, sie verfingen sich
in den Hantierungen eines Manns
der ein Fahrrad aufschloss
Er glich einem toten Freund so sehr
dass ich dachte, er sei es und habe
sein dort abgebrochenes Leben
hier fortgesetzt, von keinem bemerkt
nur eben gealtert, wie ich
Augen und Mund gleichmütig, starr
wie an dem Tag, als er sprang
Er schob das Rad über den Platz
stieg auf die Pedale und glitt davon
mit dem letzten Wort

Aus: Lesebuch Josef Krug. Zusammengestellt von Walter Gödden. Nylands Kleine Westfälische Biblilothek 102. Aisthesis: Bielefeld 2021.


ABEND IN LANS

Das Wetter war nicht danach, Touren zu machen. Oben lag Schnee.
Ich kehrte nach Innsbruck zurück, saß unter dem staubigen Rauputz der Bahnhofsterrasse und sah auf das Gedränge der Busse und Autos in der Nachmittagssonne hin-aus. Bis zur Abfahrt des Nachtzugs blieben einige Stunden. Am Nebentisch fiel das Wort "Lans", gedehntes "a", mehr "o" als "a"; ich hörte es einige Male, bis ich verstand, was es meinte …
Die Nacht und sprachlos ein vergessenes Leben.
Es war nicht schwer, nach Lans zu gelangen. Vor dem Bahnhof stieg ich in die Linie 6, die Straßenbahn schob sich durch den Feierabendverkehr und verließ die Stadt, schräg einen Hang hinauf. Durch Lücken im Hochwald sah ich über das Tal hinweg auf die verschneite Bergkette. Aus dem weißen Gehöcker hingen Lawinen herab, im Grün der Hänge erstarrt.
Wanderschaft durch dämmernden Sommer.
Von der Haltestelle führte ein Sträßchen durch Maisfelder dorthin, wo über den Stauden Hausdächer und ein Kirchturm zu sehen waren. Ich ging durch die Felder um den Ort herum und durch die Dorfstraße zurück. Vor der Kirche blieb ich vor einem Stein zu Ehren der Toten der Jahre 1914-18 stehen. Darunter war eine kleine Tafel angebracht, ich las die Namen, Geburtsdaten und Sterbealter von sieben Gefallenen einer Schlacht des Tiroler Aufstands 1809 – der jüngste war 22 Jahre alt geworden, der älteste 39. Ich betrat die Kirche, hinter mir fiel das Licht der Sonne zur Tür herein und legte meinen Schatten in den Gang zwischen den beiden Reihen der Bänke unter den vergoldeten Engeln und Heiligen, bis an das Gitter vor dem Altar.
Unter getünchten Bogen,
Wo die Schwalbe aus und ein flog, tranken wir feurigen Wein.

Später, schon von der Haltestelle aus, sah ich über den verschneiten Gipfeln auf dieser Talseite den Mond aufgehen. Ein Bogen weißer Materie wuchs aus einer weißen Kuppe heraus, wurde größer und rund, löste sich ab und schwebte im Blau.
Schön: o Schwermut und purpurnes Lachen.
Ich war der einzige Fahrgast zurück, von einem jungen Mann abgesehen. Er stand, die eine Hand in einer Halteschlaufe, im Bug der Bahn hinter der Fahrerin, mitschaukelnd in dem Stoßen und Schaukeln, und unterhielt sich mit ihr, während das große, inwendig erhellte und gegen die Dunkelheit spiegelnde Gehäuse aus Glas und Metall durch den Wald sauste, wieder hinab.

(Unter Verwendung von Versen aus "Abend in Lans" von Georg Trakl.)
Aus: Lesebuch Josef Krug. Zusammengestellt von Walter Gödden. Nylands Kleine Westfälische Biblilothek 102. Aisthesis: Bielefeld 2021.


HEUMAHD

Zu "Heimat" fiel mir "Heumahd" ein, ich wusste zuerst nicht, ob es das Wort überhaupt gibt, Heu wird ja nicht gemäht, sondern was geschnitten wurde, war das Gras, zum Trocknen lag es auf der gemähten Wiese, wurde manchmal hochgeworfen, ausgeschüttelt, umgewendet … – "alte Bez. für: Juli" las ich im Rechtschreib-Duden, und in dieser Bedeutung passte "Heumahd" auch. Es war heiß, die Männer schwitzten in ihren Unterhemden draußen in der Sonne, die Frauen fegten mit uhrwerkshaften Pendelbewegungen der Rechenstiele das Heu zu Reihen. Zu matt, um noch herumzulaufen und weiter Fangen zu spielen, saß ich mit meinen Cousins im Schatten am Rand, wo auch die Wasserflaschen und die Brotzeit lagen, und sah zu, wie die Kühe den Leiterwagen an den Reihen entlang zogen. Die Männer spießten das Heu auf Gabeln, es wurde hochgehoben und oben in Empfang genommen und verteilt, immer höher hinauf, und als wieder eine Fuhre aufgeladen und mit Baum und Stricken befestigt war, durften wir aufsteigen, hinaufklettern. Im Heugeruch, aus einer Kuhle, sah ich die Wolken ziehen, Zweige, Äste strichen über uns hinweg, Blätter verdeckten manchmal den Himmel. Im Hohlweg hörte ich die Hufe der Kühe, und wie die Eisenbereifung über die Steine rutschte und sprang, Großvaters Peitsche, sein "Ohaaa!" und "Brrr!", die Rufe meines Onkels, der die Handleierbremse bediente, sie schrillte, der Wagen schwankte, warf mich in unserer Kuhle hin und her, ich hatte plötzlich ein Gefühl im Magen wie Jahre später, als es den Hof schon nicht mehr gab, der Betrieb längst aufgegeben worden war und ich als Austauschschüler auf der Überfahrt nach Dover es gerade noch an die Reling schaffte. Der Wagen fuhr im Bogen auf den Hof und stand, wir wurden rückwärts unter das Gebälk der Scheune geschoben. Auf wackligen Beinen stieg ich auf den Heuboden aus, aus der Heumahd auf feste Bretter.

Aus: Lesebuch Josef Krug. Zusammengestellt von Walter Gödden. Nylands Kleine Westfälische Biblilothek 102. Aisthesis: Bielefeld 2021.


1950 in Bad Brückenau/Unterfranken geboren. Studium der Soziologie in Bochum. Arbeit u.a. als Sozialarbeiter, Lehrer für türkische Jugendliche und Auszubildende des Bergbaus, zuletzt Projektentwickler in der interkulturellen Bildungseinrichtung "Multikulturelles Forum e.V.". Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS), in der Europäischen Autorenvereinigung DIE KOGGE; Mitarbeit im Verein LiteraturRaumDortmundRuhr.

2019: 2. Preis im Literaturwettbewerb "Nationaliät? Vielfalt …" in der Sparte Erzählungen, Bonn
1999: Preisträger der Liselotte und Walter Rauner-Stiftung zur Förderung der Lyrik in NRW, Bochum
1987: Vera-Piller-Poesie-Preis, Zürich

Fadenschein. Roman. Hrsg. und mit einem Nachwort von Walter Gödden. Reihe "Neue Westfälische Literatur" Bd. 27. Aisthesis: Bielefeld 2021.
Lesebuch Josef Krug. Zusammengestellt von Walter Gödden. Nylands Kleine Westfälische Biblilothek 102. Aisthesis: Bielefeld 2021 [enthält Prosa (vorwiegend ) und Lyrik].
Autobahn mit Raubvögeln. Erzählungen. Mit Holzschnitten von Horst-Dieter Gölzenleuchter. Free Pen: Bonn 2020.
Brunos Kristallnacht. Erzählung. Mit Holzschnitten von Horst-Dieter Gölzenleuchter und einem Nachwort von Hubert Schneider. Edition Wort und Bild: Bochum 1998.

Hinter den Bildern. Gedichte. Mit Holzschnitten von Horst-Dieter Gölzenleuchter. Grupello: Düsseldorf 2000.
Vom Schmerz der Geschichte. Gedichte. Mit Holzschnitten von Horst-Dieter Gölzenleuchter. Edition Wort und Bild: Bochum 1989.

Brunos Kristallnacht. Hörstück. Bayrischer Rundfunk (Bayern2): 21.11.2001.
Im Llano Estacado. Erzählung. Westdeutscher Rundfunk (WDR 3): 13.03.1998.
Politisch Lied - ein garstig Lied? Gespräch mit Andrea Everwien, Abendstudio Literatur. WDR/Radio Dortmund: 07.03.1988.

Erzählende Prosa und Lyrik (Auswahl)
Fenster. In: Poesiealbum neu. My generation. Gedichte. Edition kunst & dichtung: Leipzig 2018.
Abend in Lans. Kurzprosa. In: Am Erker. Zeitschrift für Literatur Nr. 74. Daedalus-Verlag: Münster 2017.
Köpfe; Kriegsende; Der Kormoran; Lautverschiebung; Granatapfel; Erwiderung. Gedichte. In: Schlafende Hunde III. Politische Lyrik. Hrsg. von Thomas Bachmann. Verlag am Park: Berlin 2014.
Gegen die Uhr. Erzählung; Ackerwinde. Gedicht. In: Viele brauchen Erfahrung… Hrsg. von Wolfgang Sternkopf. Klartext: Essen 2011.
Regen…; Wenn das Eiszeiteis...; Vergangene Wege. Gedichte. In: Sieben Schritte Leben. Neue Lyrik aus Nordrhein-Westfalen. Hrsg. von Volker W. Degener und Hugo Ernst Käufer. Grupello: Düsseldorf 2001.
Fahrpläne, Dienstpläne. Gedicht. In: Poesie-Agenda 1988. orte-Verlag: Zürich 1987.
Im Beton. In: Das Ziel sieht anders aus. Gedichte. Fischer TB: Frankfurt a.M. 1982.
Das Griechenlied oder Ein Tag in dem Prozeß. Erzählung. In: Das Wunder des Fliegens. Hrsg. von Uwe Naumann. Röderberg-Verlag: Frankfurt 1981.
Fremde im Ort. Erzählung. In: Laßt mich bloß in Frieden. Ein Lesebuch. Hrsg. von Svende Merian, Norbert Ney, Gerd Unmack und Hennig Venske. Buntbuch: Hamburg 1981.

Aufsätze über literarische Themen (Auswahl)
Werkkreis und Krimi. In: Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung 17. Hrsg. von Walter Gödden und Arnold Maxwill. Aisthesis: Bielefeld 2020.
Schwierige Nähe. Über Siegfried Mrotzek, Autor und Übersetzer. In: Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung 16. Hrsg. von Walter Gödden und Arnold Maxwill. Aisthesis: Bielefeld 2018.
Trakl-Translations. Nachwort. In: Matthias Engels: trakl translations (Gedichte). Brot & Kunst: Neustadt a.d. Wstr. 2017.
Wie war das noch? (über Richard Limperts "Über Erich 1933-1953"); Gerüttelt von Weltstille (über Ernst Meister: "Sage vom Ganzen den Satz"); … und falle niemals um (über Werkkreis Literatur der Arbeitswelt (Hg.): "Schichtarbeit. Schicht- und Nachtarbeiterreport"). In: Vom Heimatroman zum Agitprop. Die Literatur Westfalens 1945-1975. Hrsg. von Moritz Baßler, Walter Gödden, Sylvia Kokot und Arnold Maxwill. Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung 14. Hrsg. von Walter Gödden und Arnold Maxwill. Aisthesis: Bielefeld 2016.
Abgründige Einfachheit. Versuch über den Lyriker Hugo Ernst Käufer. In: Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung 17. Hrsg. von Walter Gödden und Arnold Maxwill. Aisthesis: Bielefeld 2016.
Mein Thema ist wohl mehr der Mensch in unserer Zeit… Der Gelsenkirchener Autor Detlef Marwig (1931-1990) und sein Roman "Freiheit kleingeschrieben". In: Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung 13. Hrsg. von Walter Gödden und Arnold Maxwill. Aisthesis: Bielefeld 2014.

Ruhrpottriviera. Neue Texte aus der Werkstatt Dortmund. Vorwort von Liselotte Rauner. Gem. mit Ulrich Straeter. Klartext: Essen 1985.

Übersetzungen aus dem Türkischen:
Yücel Feyzioğlu, Keloğlan Glatzbub und die Gazellen. Keloğlan in Deutschland 3 (Keloğlan ile Ceylanlar. Keloğlan Almanya’da Dizisi 3). Anadolu-Verlag: Hückelhoven 1991.
Yücel Feyzioğlu, Watschel und Trippel und andere Märchen (Badi ile Bidi. Masallar). Anadolu-Verlag: Hückelhoven 1991.

Walter Gödden: Nachwort. In: Lesebuch Josef Krug. Aisthesis: Bielefeld 2021.
Volker W. Degener: Lebensnah und emotional (über "Autobahn mit Raubvögeln"). In: Westfalenspiegel, 5/2020.
Ulrich Straeter: Hinter den Bildern. In: jederart, 2002.
Vera Lebert-Hinze: Für die Unruhe einen Rhythmus. In: Der Literat, 7/8 2001.
Eva Weisweiler, Ulla Lessmann (Hrsg.): LeseLust. Autorinnen und Autoren aus NRW. Dittrich: Köln 1999.
Gisela Schwarze (Hrsg.): Westfälisches Autorenverzeichnis, Autorinnen und Autoren in und aus Westfalen. Fachstelle Literatur und Publizistik im Westfälischen Heimatbund: Münster 1993.
Ludwig Jansen (Hrsg.): Literatur-Atlas NRW. Ein Adressbuch zur Literaturszene. Volksblatt-Verlag: Köln 1992.

Über "Autobahn mit Raubvögeln":
Die 15 Erzählungen des Bandes "Autobahn mit Raubvögeln" handeln von Begegnungen mit "Fremden" und Fremdem in verschiedener Gestalt, auch mit dem Fremden im Eigenen. Neben der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sind Kindheits- und Schuleindrücke, die deutsche Teilung sowie unerwartete Konfrontationen und Liebeshändel im Nachtrab der Studentenbewegung Themen der Erzählungen. Vor dem Hintergrund der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, von den 50er bis in die Nuller-Jahre hinein, entsteht so ein Bilderbogen, ein Mosaik aus Geschichten.
Lose zusammengehalten werden sie durch die Figur des Jörg Lang, der in den meisten der Geschichten auftaucht, mal als Erzähler, mal als der, von dem erzählt wird. Wie der Autor aufgewachsen in einer unterfränkischen Kleinstadt und als Student ins Ruhrgebiet verschlagen und dort hängengeblieben, bewegt er sich in beiden Lebens- und Erfahrungswelten, im Spannungsfeld von Land und Stadt.

Zu  "Brunos Kristallnacht":
Am Morgen des 10. November 1938 macht sich in einem unterfränkischen Städtchen der 13jährige Bruno mit ungutem Vorgefühl auf den Weg zur Schule. Er hat wieder eine Mathe-Arbeit vermasselt, hatte die schlechte Note zuhause seinem schlagkräftigen Vater zum Unterschreiben vorlegen sollen und hat es aus Angst nicht getan. In der dritten Stunde soll die Arbeit eingesammelt werden, und Bruno sieht das Unglück schon seinen Lauf nehmen. Da geschieht ein Wunder, die Zeitereignisse greifen ein. Die ganze Schule bekommt schulfrei, die Schüler werden ins Städtchen geschickt, um dort mit anzusehen, wie es den Juden, den "Feinden des Reiches", ergeht. Was Bruno zunächst als Befreiung und Rettung empfindet, wird zu einem Gang durch das Pogrom der sogenannten "Kristallnacht" und zum Ausgangspunkt einer Erzählung, in der sich das Gestern, das nicht vergehen will, und die fortdauernde Auseinandersetzung mit dem Vergangenen verbinden und durchkreuzen.

Auskunft Autor

Aktualisiert 27.07.2021